CURE #1: Apotheke im Umbruch
Verhelfen die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen den Vor-Ort-Apotheken zu einer neuen Positionierung? Und verbessern Gesundheitskioske die Versorgung? Ein Gespräch mit Dr. Kerstin Kemmritz, Präsidentin der Berliner Apothekerkammer
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CURE ist der Mini-Podcast für den Gesundheitsmarkt von Klenk & Hoursch. Stephan Ahlf, Managing Director Healthcare, spricht monatlich mit relevanten Expert:innen zu Themen im Bereich Apotheke, Pharma, Klinik, Großhandelsmarkt sowie Medizintechnik oder eHealth. Im Februar 2023 hatte er Dr. Kerstin Kemmritz, Präsidentin der Berliner Apothekerkammer, zu Gast.
Die Apothekerschaft hat seit kurzem eine neue Einnahmequelle: die sog. "Pharmazeutischen Dienstleistungen". Es handelt sich dabei um beratungsintensive Services, die Sie, also die Apothekerinnen und Apotheker, erbringen und von den Kassen erstattet bekommen. Wie werden diese neuen Dienstleistungen angenommen?
Dr. Kerstin Kemmritz (BAK): Mit durchaus Gefühlen: Auf der einen Seite ist natürlich die Freude groß, jetzt endlich auch in Deutschland das tun zu dürfen, was in vielen anderen Ländern schon lange und erfolgreich möglich ist: Pharmazeutisches Wissen als eigene Dienstleistung erbringen zu können, die den Patientinnen und Patienten hilft und die auch von der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert wird. Auf der anderen Seite müssen die pharmazeutischen Dienstleistungen nun erst einmal auch entsprechende qualitätsgesichert etabliert werden. Sie benötigen eine Anschubfinanzierung, die die Apotheken erst einmal erbringen müssen. Egal, ob es sich um einen nicht unerheblichen Aufwand an zusätzlichen Schulungen und vor allem Freiräume für das ohnehin schon knappe Personal handelt.
Was müsste geschehen, damit dieses Angebot durchstartet und mehr Menschen in den Genuss der pharmazeutischen Dienstleistungen kommen?
Dr. Kerstin Kemmritz (BAK): In der Theorie ist es ganz einfach: Es müssen möglichst viele Apotheken mitmachen und möglichst viele Menschen danach fragen. In der Praxis ist es wie so oft natürlich komplizierter: Damit möglichst viele Apothekenteams mitmachen können, müssen zunächst genügend Schulungsangebote da sein. Das kostet Zeit und Geld und damit sind wir bei einem der größten Hemmschuhe: den personellen und finanziellen Ressourcen. Viele Teams sind nach zwei Jahren Pandemie einfach ausgepowert. Und natürlich muss auch der Bekanntheitsgrad und damit die Nachfrage bei den Patientinnen und Patienten steigen, was nicht nur durch Mund-zu-Mund-Propaganda, sondern auch durch gute Werbematerialien und Pressebericht erreicht werden kann.
Die Ampel-Koalition hat sich ein weiteres Thema vorgenommen, um Gesundheit auch in die sozial benachteiligten Gebiete im Land zu bringen: Gesundheitskioske. Der Begriff "Kiosk" lässt einen zwar eher an Bier, Schnaps und Süßigkeiten denken, also so ungefähr an das Gegenteil dessen, was gesund macht; gemeint ist aber ein niederschwelliges, wohnortnahes Angebot, das auf Prävention abzielt. Halten Sie diese Gesundheitskioske für eine gute Idee?
Dr. Kerstin Kemmritz (BAK): Die Idee, ein niederschwelliges, wohnortnahes und präventives Angebot zu fördern, ist mit Sicherheit gut. Die Idee, dazu - wie derzeit geplant - 1000 neue Gesundheitskioske aufzubauen, statt erst einmal vorhandene Strukturen zu stärken und zu nutzen, darf dagegen mehr als hinterfragt werden. Schließlich gibt es gerade auch in Brennpunktgebieten schon jede Menge Engagement, um die dort Lebenden zu betreuen und zu beraten. Hier muss auch der Sachverstand und das Engagement in der Apothekerschaft mit eingebunden werden, die nicht nur in den Brennpunktbezirken schon lange viel, viel mehr macht, als „nur“ Arzneimittel an die dortige Bevölkerung abzugeben. Es macht also mehr Sinn, erst einmal genau hinzuschauen, wie und wo gemeinsam mit den anderen Heil- und Pflegeberufen sowie den Sozialarbeitenden die Bevölkerung bereits informiert und versorgt wird und wie man diese bereits vorhandenen Strukturen noch besser vernetzen kann. Dann erst wird man sehen, ob und wo es noch weiterer Unterstützung bedarf.
„In der Theorie ist es mit den neuen pharmazeutischen Dienstleistungen ganz einfach: Es müssen möglichst viele Apotheken mitmachen und möglichst viele Menschen danach fragen.“
Dr. Kerstin Kemmritz, Präsidentin der Berliner Apothekerkammer
Auf dem Deutschen Apothekertag, der kürzlich stattfand, haben Sie unseren Gesundheitsminister Herrn Lauterbach gefragt, weshalb er bei der Schaffung der Gesundheitskiosken nicht auf die Apotheken zurückgreifen würde. Sinngemäß hat er geantwortet, dass in den Gesundheitskiosken überwiegend Leistungen erbracht würden, die nicht primär apothekenüblich seien: Ernährungsberatung, Befunde erklären, Ärztevermittlung etc. Hat Sie der Minister überzeugt, dass das Konzept doch besser ohne die Apothekerschaft umgesetzt werden sollte?
Absolut nicht, aber immerhin hat ja der Minister selbst in Aussicht gestellt, die Apothekerschaft dabei einbinden zu wollen oder das zumindest zu prüfen. Ich kann mir eine wohnortnahe niedrigschwellige Versorgung der Bevölkerung in Brennpunktbezirken ohne die Apothekerschaft überhaupt nicht vorstellen. Schließlich sind gerade die Apotheken ja die quasi rund um die Uhr erreichbaren Anlaufstellen, in denen schon lange in allen möglichen Sprachen ein breites Angebot nicht nur an Waren, sondern auch an Dienstleistungen und Informationen geboten wird. Dazu gehören in vielen Apotheken neben Blutdruck- oder Blutzuckermessen auch Ernährungsberatung und andere Präventionsleistungen. In den Apotheken kennt man die komplexesten Regelungen der Sozialgesetzgebung, kontrolliert Bescheide und Unterlagen oder ergänzt Medikationspläne und erläutert Laborwerte oder Entlassbriefe. Seit Corona führen viele Apotheken auch Schnelltests durch, bieten Laboranalysen und Impfungen an. Statt sie dafür mit neuen Spargesetzen zu bestrafen, sollte man ihre Kenntnisse und Fähigkeiten lieber einbinden. Das spart nicht nur Geld, sondern verbessert auch die Versorgung.
Dr. Kerstin Kemmritz ist Apothekerin aus Leidenschaft und Inhaberin der Falken-Apotheke Weißensee. Darüber hinaus ist sie die amtierende Präsidentin der Apothekenkammer Berlin.
Nach ihrer Promotion im Bereich Computer Aided Drug Design („Molecular Modelling“) war sie als Referentin an der Apotheker- und Ärzteammer tätig sowie Lehrbeauftrage an der Freien Universität Berlin. Zudem ist sie Autorin mehrerer Fachbücher und -artikel.