CURE #4: Mobilität und Gesundheit.
Mobilität und Gesundheit – zwei große, komplexe Systeme, die nebeneinander in unserem Leben stehen. Nebeneinander? Bei genauerer Betrachtung haben Mobilität und Gesundheit zahlreiche gemeinsame Schnittstellen. Sie beeinflussen sich gegeneinander, oft sogar sehr stark, wie Planeten, deren Umlaufbahnen sich überschneiden. Welche Zusammenhänge zwischen Mobilität und der menschlichen Gesundheit gibt es? Und kann man sich diese Zusammenhänge zunutze machen? Ein kurzes Gespräch mit Prof. Dr. Christian Haas, Direktor am Institut für komplexe Systemforschung an der Hochschule Fresenius.
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Herr Prof. Haas, in Ihrer Arbeit als Wissenschaftler dreht sich viel um Mobilitätsthemen. Neben dem ganz aktuellen Forschungsfeld - Autonomes Fahren - untersuchen Sie auch den Einfluss des Mobilitätsverhaltens auf die menschliche Gesundheit. Was genau hat denn das eine mit dem anderen zu tun, und warum genau beforschen Sie diese Themen? Stecken denn hier noch ungehobene Potenziale für die Gesundheit?
Prof. Dr. Haas (CH): Ja, das ist durchaus richtig! Wir interessieren uns für mehrere Themenkomplexe, die zwar im Einzelnen recht gut untersucht sind, aber bisher kaum in den öffentlichen Fokus gelangt sind. Dabei geht es nicht einfach um Verkehrsunfälle oder Feinstaub, die ja beide auch einen erheblichen Gesundheitsbezug haben, sondern um Themen wie kardiopulmonale Prävention oder auch Mobilitätsbarrieren, die ein wesentlicher Grund sind für die Nicht-Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen.
Geben Sie uns ein Beispiel?
CH: Herzkreislauferkrankungen belasten das Gesundheitssystem mit hohen Summen im Milliardenbereich. Deshalb gibt es ja auch Bewegungsempfehlungen der WHO, die bei etwa 150 min pro Woche liegen. 29 Prozent der ÖPNV-Nutzer erfüllen die Vorgaben, und zwar deshalb, weil sie auf ihrem täglichen Arbeitsweg auf ca. 30 Minuten Fußweg zur Haltestelle bzw. zum Arbeitsort kommen. Somit reduziert allein dieser Fußweg das Erkrankungsrisiko um 30 Prozent, und das Mortalitätsrisiko um 20 Prozent.
„30 Prozent aller ÖPNV-Nutzer erfüllen die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation für Bewegungsempfehlungen allein deshalb, weil mit der ÖPNV-Nutzung auch Fußwege verbunden sind.“
Prof. Dr. Christian Haas, Direktor am Institut für komplexe Systemforschung an der Hochschule Fresenius
Interessant! Gibt es weitere Beispiele, die den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Mobilität deutlich machen?
CH: Nehmen wir das Thema Mobilitätsbarrieren. Sie sind ein wesentlicher Grund für die Nicht-Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen, und damit mitverantwortlich dafür, dass sich Krankheitsbilder verfestigen. Mobilitätsbarrieren sind multivariat geprägt, das heißt zum Beispiel: kein vorhandenes Fahrzeug, Barrieren im Fahrzeug, keine geeigneten Informationen zu öffentlichen Verkehrsangeboten, kein Fahrangebot zu einer bestimmten Zeit. Primär betroffen sind vor allem Älteren Personen und Personen mit geringem soziökonomischem Status.
Sie sagen, die Themenbereiche seien gut untersucht: Weshalb führen die Ergebnisse dann nicht zu verbesserten Gesundheitskonzepten, die Mobilität mit einbeziehen?
CH: Die Effekte sind zu wenig bekannt und deshalb wird das Themenfeld nicht weiter systematisch weiterentwickelt.
„Mobilitätsbarrieren sind ein wesentlicher Grund dafür, dass sich Krankheitsbilder verfestigen.“
Prof. Dr. Christian Haas, Direktor am Institut für komplexe Systemforschung an der Hochschule Fresenius
Handelt es sich hier nicht zuvorderst um ein Kommunikationsproblem? Was müsste denn konkret geschehen, damit die beiden Silos Gesundheit und Mobilität künftig durchlässiger werden und in einen Austausch miteinander kommen?
CH: Sie haben recht, es handelt sich hier um ein Kommunikationsproblem. Wichtig erscheint mir, dass diese Facts nicht nur im Wahrnehmungsraum der Bevölkerung und der politischen Entscheidungsträger präsent sind, sondern auch didaktische Konzepte zur Verhaltensänderung entwickelt werden, und zwar für alle – d. h. auch Ärzte, Verkehrsplaner, Patienten – eigentlich jeden.