CURE #8: Wohin geht das Rezept, das der Patient dem Apotheker über den HV-Tisch reicht?
In der aktuellen Folge des CURE-Podcast spricht Stephan Ahlf mit Carlos Thees. Carlos Thees ist Geschäftsführer des ARZ Darmstadt, mit rund 2.500 Kunden einer der großen Apothekendienstleister in Deutschland. Die wichtigste Dienstleistung des ARZ Darmstadt ist sicherlich die Rezeptabrechnung, und von denen gibt es nach wie vor jede Menge.
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Stephan Ahlf: Herr Thees, rund 470 Millionen Papierrezepte werden in Deutschland pro Jahr gedruckt. Würde man die aneinanderreihen, könnte man damit fast zweimal den Äquator umrunden. Aber die Rezepte umrunden natürlich nicht den Äquator. Sie werden stattdessen von einem Dienstleister abgeholt, zum Beispiel von Ihnen. Was machen Sie denn mit den vielen Rezepten genau? Wohin geht das Rezept, das der Patient dem Apotheker über den HV-Tisch reicht?
Carlos Thees: Das Rezept, wenn es der Apotheker entgegennimmt, wird zunächst taxiert. Das bedeutet, der Apotheker trägt die PZN (Pharmazentralnummer), die er abgegeben hat, sowie den dazugehörigen Preis über seine Warenwirtschaft ein und druckt das Ganze oben rechts auf das Rezept. Dann durchläuft das Rezept noch verschiedene Kontrollstufen in der Apotheke. Und dann kommen schon wir und holen die Rezepte in den Apotheken ab. Wir verarbeiten das Rezept dann und machen es kurz gesagt zu Geld. Dieses Geld holen wir von den Krankenkassen und schütten es dann natürlich wieder an die Apotheken aus.
SA: Und warum rechnen die Apotheken nicht direkt mit den Kassen ab? So können sie sich doch den Dienstleister sparen.
CT: Es ist durchaus eine berechtigte Frage. Die einfache Antwort ist: Weil die Komplexität einfach sehr hoch ist und es auch wenig Sinn macht, dass jede einzelne Apotheke mit jeder einzelnen Krankenkasse abrechnet. Es gibt ja eine unglaubliche End-to-End-Matrix, um das miteinander zu verbinden. Das heißt, dass es sowohl für die Krankenkasse als auch für die Apotheken einfacher ist, wenn sie eine Adresse haben, von der sie dann entweder ihr komplettes Geld bekommen oder eben eine Adresse haben, wo dann alle Abrechnungen von allen Apotheken enthalten sind. Und zudem gibt es eben viele Spezifika in der Abrechnung, die alle von uns Rechenzentren ausgerechnet werden müssen, wie zum Beispiel die Herstellerrabatte, die die Hersteller an die Krankenkassen geben und von uns verarbeitet werden. Die Zuzahlung, die der Patient in der Apotheke leistet, der gesetzliche Apothekenabschlag, der wiederum von der Rechnung abgezogen wird. Und so weiter und so fort. Das heißt, es sind viele Detailbausteine, die alle ausgerechnet werden müssen. Und es gibt heute auch mit der ganzen Technik, die noch dazu gehört, den dritten Aspekt, dass man eben einen Papierbeleg, ein Image dazu erzeugen muss und dann auch noch einen Abrechnungsdatensatz einer bestimmten spezifischen technischen Norm. Das alles kann eine Apotheke heute organisatorisch kaum noch darstellen und vor allem auch nicht zu den Preisen, zu denen wir das Ganze anbieten.
SA: Ist denn das rosafarbene Papierrezept, das im Fachchinesisch Muster 16 genannt wird, überhaupt noch zeitgemäß? Allein die vielen gefahrenen Kilometer, um sie von ihren zweieinhalbtausend Apotheken einzusammeln und zu verwahren, ist ja nicht gerade die nachhaltigste Lösung. Der Großhandel zum Beispiel fährt doch auch täglich mehrfach jede Apotheke an. Gibt es da nicht Synergien?
CT: Da sprechen Sie das vollkommen Richtige an. Es ist nicht mehr wirklich zeitgemäß. Deswegen engagieren wir uns auch schon seit vielen Jahren in der Unterstützung des eRezeptes. Sie haben vollkommen Recht: Einen Papierbeleg zunächst elektronisch zu erzeugen, dann zu bedrucken und als Papier auszugeben, um es dann wieder elektronisch einzuscannen und zu verarbeiten, ist tatsächlich nicht mehr die Technologie, die 2023 state-of-the-art ist. Die Lösung dazu ist tatsächlich das eRezept. Und ja, wir versuchen natürlich auch in Kooperation mit dem Großhandel Logistikstrecken zu optimieren, haben teilweise eigene Dienstleister. Das geht mal besser, mal schlechter. Man muss halt auch immer gucken, wie das auf die Touren entsprechend passt. Aber grundsätzlich versuchen wir natürlich auch Synergien nutzen, da wo es geht.
SA: Nun wird ja, wie Sie sagen, das klassische Papierrezept dann irgendwann mal durch das eRezept ersetzt werden und damit dürfte viel administrative Aufwand auch für die Apotheken wegfallen. Bedroht das am Ende aber nicht Ihr Geschäftsmodell?
CT: Ja, das könnte man auf den ersten Blick meinen. Aber in Wirklichkeit ist es dann doch nicht so, weil zum einen ist die Komplexität, die ich vorhin beschrieben habe, mit den verschiedenen Zuzahlungen, Herstellerrabatten etc. natürlich weiterhin gegeben und es macht auch weiterhin Sinn, einen gewissen Bündelungseffekt in Form eines Clearingdienstleisters zu haben. Es ist auch für die Apotheke dann in der ganzen Abwicklung mit Steuerberater und so weiter sehr viel einfacher, wenn es eine Buchung für alle Rezepte gibt, wie wenn es viele einzelne Buchungen von einzelnen Krankenkassen gibt. Ein schöner Vergleich ist in meinen Augen immer die Kreditkartenabrechnung. Auch dort haben sie in der Regel einen Dienstleister, der die verschiedenen Transaktionen für Sie bündelt und in einer Monat Summe und eine Abrechnung an Sie übermittelt. Wegfallen wird perspektivisch natürlich dieser ganze Logistikteil, allerdings auch erst dann, wenn das letzte Papierrezept abgelöst ist. Solange es noch Papierrezepte gibt, und da reden wir noch über einige Jahre, weil es gibt auch gewisse Sonderformen wie BTM, Belege sowie Hilfs und Heilmittel - das sind Rezepte, für die die Umsetzung in einem eRezept noch in der ferneren Zukunft liegt, - so lange haben wir eine sogenannte Hybridphase, das heißt, wir haben sowohl Papier Belege als auch Rezepte. Und solange eben Papier Belege da sind, müssen wir diese Logistik auch aufrechterhalten.
„Papierrezepte elektronisch zu erzeugen, nur um sie dann zu drucken und wieder einzuscannen, ist 2023 nicht mehr State-of-the-Art. Die Lösung ist hier das eRezept.“
Carlos Thees, Geschäftsführer des ARZ Darmstadt
SA: Wenn ich es richtig verstanden habe, haben wir derzeit mit ungefähr einem Prozent aller eingelösten eRezepte vom Gesamtanteil der Rezepte noch einen sehr, sehr niedrigen Stand. Was braucht es denn Ihrer Meinung nach, um dem Rezept zu mehr Durchschlagskraft zu verhelfen?
CT: 1 % ist tatsächlich noch sehr wenig. Aber was man sagen kann: Technisch funktioniert es schon mal. Das heißt also, technisch haben wir mittlerweile auch über zwei, drei Millionen Rezepte verarbeitet. Das heißt, wir haben fast alle Konstellationen, Krankenkassen, Kombinationen und so weiter schon mal gehabt, und das funktioniert. Und wir sind alle auch im Markt ready dafür. Also sowohl die Rechenzentren als auch die Apotheken als auch die Ärzte. Aber wie könnte man das noch forcieren? Da liegt der Schlüssel ganz klar bei den Ärzten, weil der Arzt aktuell entscheidet, ob er ein Papier oder ein eRezept ausstellt. Viele Ärzte sehen für sich einfach keinen Vorteil. Und das ist so ein bisschen das Problem. Aber man könnte es natürlich eventuell auch lösen, indem man entweder die Ärzte stärker in die Verpflichtung nimmt über Sanktionen oder so, aber schöner ist natürlich, wenn man vielleicht auf Nachfrage-Push erzeugen könnte. Das heißt, wenn der Patient aktiv nach dem eRezept fragt, glaube ich, könnte das auch vielleicht die Motivation der Ärzte erhöhen. Dazu müsste aber der Patient natürlich entsprechend aufgeklärt sein und überhaupt erst mal wissen, dass es überhaupt eRezepte gibt und dass man die auch einfordern kann.
„Patienten müssen kommunikativ stärker über das eRezept aufgeklärt werden, damit sie dieses auch aktiv einfordern. Das wäre eine Möglichkeit, die Motivation für das Ausstellen von eRezepten auf Ärzteseite zu erhöhen.“
Carlos Thees, Geschäftsführer des ARZ Darmstadt
SA: Also viel Arbeit für die Kommunikationsbranche bei der Aufklärung über die Vorteile des eRezepts. Vielen Dank, Herr Thees!