CURE #7: Ein Gespräch mit Dr. Andreas Rösch, GF der smart medical eHealth solutions GmbH
In Folge 7 unseres Podcasts spricht Stephan Ahlf mit Dr. Andreas Rösch. Dr. Rösch ist Geschäftsführer der smart medication eHealth Solutions. Sein Unternehmen ist gewissermaßen ein Pionier der Healthcare-Digitalisierung Made in Germany. Eines seiner Produkte: eine Software für das Therapie-Management einer seltenen chronischen Erkrankung: der Hämophilie.
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Hämophilie, auf Deutsch die Bluter-Erkrankung, ist eine Erbkrankheit, die zu einer Störung der Blutgerinnung führt. Die genetisch bedingte Krankheit tritt hauptsächlich bei Männern auf und führt dazu, dass das Blut betroffener Patienten nicht oder nur langsam gerinnt. Wunden schließen sich entsprechend langsam, auch innere Blutungen können auftreten. Die Erkrankung ist nicht heilbar und betroffene Patienten sind lebenslang hohen Risiken ausgesetzt, bei denen selbst kleinste Verletzungen lebensbedrohlich werden können.
Stephan Ahlf: Herr Rösch, Ihre Hämophilie-App ist ein sogenanntes Diary, eine Art elektronisches Tagebuch für Bluter- Patienten. Was genau kann sie?
Dr. Andreas Rösch: Bereits im Jahr 2010 haben wir eine App, heute würde man sagen Digitale Gesundheitsanwendungen, für Patienten mit Hämophilie entwickelt. Der Patient trägt in das Tagebuch seine Medikation ein, das heißt, er spritzt sich alle 2 bis 3 Tage den fehlenden Faktor Acht und trägt diese Medikation in sein Tagebuch ein. Darüber hinaus notiert der Patient auftretende Blutungen. Das können einfache Blutungen, Schnittverletzungen sein, aber auch schwerwiegende Blutungen, wie zum Beispiel Blutungen in ein Gelenk. Der behandelnde Arzt kann über die Plattform das Tagebuch seiner Patienten einsehen und feststellen, ob der Patient ausreichend therapiert ist, ob er seine Medikamente regelmäßig nimmt und ob eventuell Blutungen aufgetreten sind.
SA: Und ist diese App bereits ein fester Bestandteil in der Therapie?
AR: Wir haben, Stand heute, allein in Deutschland circa 1500 Patienten in der Versorgung und haben damit ungefähr 1/3 der circa 4500 Hämophilie-Patienten mit schwerer Hämophilie in Deutschland versorgt.
„Die Vergütung einer DiGA sieht nur einige 100 € pro Verschreibung vor. Bei Seltenen Chronischen Erkrankungen ist eine Finanzierung damit nicht gesichert.“
Dr. Andreas Rösch, Geschäftsführer smart medication eHealth Solutions
SA: Nun ist es ja so, dass Deutschland mit der Einführung von digitalen Gesundheitsanwendungen, also DiGAs, die Sie auch gerade angesprochen haben, eine Vorreiterrolle in Europa übernommen hat. DiGAs sind gewissermaßen digitale Medikamente bzw. Therapieangebote, die vom Arzt verschrieben werden können. Die Ersatzkassen bezahlen sie und damit gelangen sie in den medizinischen Versorgungsalltag von Patientinnen und Patienten. Sie haben meines Wissens aber nie einen Antrag auf Aufnahme ins BfArM-Verzeichnis gestellt. Weshalb nicht? Wäre das nicht der natürliche Weg, damit Ihre Produkte von möglichst vielen Patienten genutzt werden können?
AR: Wir haben bisher keinen Antrag beim BfArM auf DiGA-Listung gestellt, und das aus gutem Grund: In der Hämophilie haben wir tatsächlich nur insgesamt 4.500 Patienten in Deutschland. Davon, wie gesagt, 1.500 auf unserer Plattform. Die Entwicklung einer DiGA ist sehr aufwendig und sehr stark reguliert. Aufgrund der sehr wenigen Patienten bei den Seltenen Chronischen Erkrankungen ist die Finanzierung einer DiGA für Seltene Chronische Erkrankungen äußerst schwierig. Die Vergütung einer DiGA sieht in der Regel ja nur einige 100 € pro Verschreibung vor. Das funktioniert gut bei manchen Anwendungen. Bei Seltenen Chronischen Erkrankungen ist eine Finanzierung mit diesen Beträgen nicht mehr gesichert.
SA: Und gibt es da keine Unterstützung von Seiten der Industrie, also den Pharmafirmen, die Hämophilie-Präparate verkaufen? Die müssten doch ein großes Interesse daran haben, dass Patientinnen und Patienten eine möglichst optimale Therapie durchlaufen.
AR: Und genau das ist der Fall. Wir sind finanziert über ein Sponsoring der Pharmaunternehmen, denn die haben ein hohes valides Interesse, eine optimale Versorgung der Patienten zu gewährleisten.
„Unsere Lobbyarbeit muss auf die zunehmende und stark übertriebene Regulation Einfluss nehmen, damit Apps auch für Seltene Chronische Erkrankungen finanzierbar werden.“
Dr. Andreas Rösch, Geschäftsführer smart medication eHealth Solutions
SA: Das heißt, die Pharmafirmen ersetzen mit ihrem Engagement das, was normalerweise die Kassen machen müssten, wenn Sie über die DiGA-Schiene gehen würden?
AR: Genauso ist es. Insbesondere bei den Seltenen Chronischen Erkrankungen reden wir über sehr teure und aufwendige Therapien. In der Hämophilie beispielsweise verkonsumieren diese 4.000 Patienten, die es in Deutschland gibt, über 1 Milliarde € an Medikamenten pro Jahr. Daran kann man ermessen, dass die Industrie ein sehr hohes Interesse hat, die Patienten optimal auch mit elektronischen Tagebüchern zu unterstützen. Hinzu kommt, dass die Pharmaunternehmen natürlich nicht lokal oder regional, also deutschlandweit denken, sondern vielmehr international. Das heißt, ein Pharmaunternehmen bedient einen globalen Markt und hat kaum Interesse, in den Markt in Deutschland einzusteigen.
SA: Das würde bedeuten, dass DiGAs im Grunde genommen für Seltene Erkrankungen schlichtweg nicht das geeignete Instrument darstellen. Was fehlt denn eigentlich, um den Seltenen Erkrankungen in Deutschland, dem DiGA-Markt schlechthin, zum Erfolg zu führen?
AR: Ich denke, es ist notwendig, noch mehr Lobbyarbeit zu betreiben, um den Gesetzgeber zu motivieren, insbesondere für die Seltenen Chronischen Erkrankungen eine geeignete, sinnvolle und angemessene Vergütung zu ermöglichen. Darüber hinaus muss unsere Lobbyarbeit auf die zunehmende und stark übertriebene Regulation Einfluss nehmen, damit hier nicht über das Ziel hinausgeschossen wird und Apps für Seltene Chronische Erkrankungen im Grunde nicht mehr finanzierbar sind.